„Der Ursprung des Bösen war immer ein Abgrund, den niemand ergründen konnte.“ (Voltaire, 1764)

 

Mit jedem menschlichen Handeln sind emotionale Qualitäten verbunden. Solche Begleitempfindungen können bei Verstößen, wenn sie ein moralisches Gerüst zur Grundlage haben, zu Schuldgefühlen führen. Sie können sich freilich, aktiv böses Handeln unterstellt, zu einem Vernichtungsgedanken und Vernichtungshandeln ausformen, die im Wiederholungsfalle Genuss versprechen, wenn Böses durch Geld, Karriereaussichten und öffentliche Anerkennung belohnt wird. Schuldfragen verbergen sich gern hinter Feinddenken und polemischen Ideologien, damit sie nicht quälen. Böses im öffentlichen Raum wird oft erfolgreich unsichtbar gemacht.

Hannah Arendt fragte sich, aus welchen Gründen der moralische Kompass, der über Jahrhunderte angezeigt hatte, was Gut und was Böse sei und was sich an der Rändern dieser Kategorien abspielt, verloren gehen konnte. Als Beobachterin des Eichmann-Prozesses in Jerusalem erkannte sie in Eichmann und seiner Performance die Banalität des Bösen. Jetzt zeigen neuere Ton-Dokumente, die Bettina Stangneth veröffentlichte, dass der kleine Befehlsempfänger, als der sich Eichmann präsentierte, eine Theaterinszenierung war, die Eichmann bereits in Argentinien mit Gleichgesinnten vorbereitet hatte. Eichmann blieb weiter der festen Überzeugung, dass er als Massenmörder, der jeglicher Moral entsagte, einen glorreichen Platz in der Geschichte einnehmen werde. Moral fand er, hindere an der Ausführung von Morden. In Jerusalem stellte er sich mit einer Darstellung vor, die er wohl für deutsche Gerichte präpariert hatte, wenn er sich stellen würde, was er bereits in Argentinien erwog. Vermutlich hätte er die deutsche Justiz als kleines Licht im Vernichtungsapparat der Nazis genauso getäuscht wie Beobachter in Jerusalem. Eichmann war ein Überzeugungstäter, der die Vernichtungslager besuchte, um sich von der Wirkung seiner Organisation zu überzeugen. Er war keineswegs ein bloßer Schreibtischtäter. Er hat im Krieg und nach seiner Flucht über die Rattenlinie das Böse missionarisch verkörpert.

Man darf also fragen, ging der moralische Kompass wirklich verloren oder nahm er sich für die moralische Orientierung lediglich eine Auszeit, die von den meisten Überlebenden nahtlos in die jeweilige Gesellschaftsmoral eingepasst werden konnte. Nach dem Krieg wurde der Brutalismus der Nazis entweder verdrängt oder mit neuen moralischen Maßstäben verkleidet, die beim Wenden nach innen verschwanden. Die moralischen Werte des Guten konnten, so die These, einfach suspendiert werden, weil sie Genuss versprachen.

 

Man darf somit Gauland oder Höcke einen Genuss am Bösen unterstellen, weil auch sie und ihre Parteifreunde moralische Erwägungen für schädlich halten und der Bosheit Vorfahrt gewähren, weil kollektives böses Handeln oder verächtliches Sprechen Genuss verspricht. Das Parteiprogramm setzt auf Kohle und Atomkraft, will die EU hinter sich lassen, verrät Flüchtlinge, will die Grenzen dichtmachen, vertritt ein haarsträubendes Frauen- und Familienbild. Das sind konträre Forderungen zu den moralischen Einflüssen auf den allgemeinen Konsens einer Parteienpolitik. Was landläufig als Provokation bewertet wird, enthält immer auch Elemente des Genusses am Bösen, auf die aus taktischen Gründen zeitweilig (in Interviews) verzichtet werden kann. Fritz Teufel konnte die Obrigkeit noch spöttisch in ihren Ritualen karikieren, weil er einer Moral und Gerechtigkeitsvorstellung anhing. Die AfD-Spitze ist mit ihrer neuen, aggressiven, nicht mehrheitsfähigen Moral der humorloseste Verein im Lande, denn Humor reibt sich stets an moralischen Prinzipien, um eine Verbesserung zu erzielen oder die Einhaltung von allgemeinen Regeln einzuklagen. Wer keine Moral kennt, kann auch nicht Humor entwickeln und seinen Charakter verbessern, was in der AfD hoffnungslos scheitern muss.

 

Der Genuss des Bösen versteckt sich hinter Ideologien und Rationalisierungen. Nicht das Böse allein, sondern auch der Genuss am bösen Handeln wird legitimiert in der Welt der Zwecke.

Wer sich für böses Handeln entscheidet, muss sich nicht immer bewusst sein, dass er etwas Böses tut. Für seine Entscheidung zum Handeln kann einmal die Orientierung am ausgeblendeten moralischen Kodex leitend sein oder zum Zweiten die Aussicht auf einen erhofften Vorteil. Wenn sich der Vorteil realisieren lässt, dann entsteht ein Gefühl von Erfüllung und Genuss.

Alle Handlungsoptionen, die möglich und denkbar sind, werden landläufig durch Moral begrenzt. Die Moral stellt folglich eine Grenze dar, die einen Menschen bei Überschreitung der Gefahr von Schuldgefühlen aussetzt. Es gibt also Menschen, die in der Lage sind, sich über moralische Grenzen hinwegzusetzen, ohne von Schuld geplagt zu werden. Wie machen diese Menschen das? Vermutlich wartet hinter der Grenze der reuelose Genuss. Diese wird durch das „Belohnungszentrum“ signalisiert: Gib die aktuelle Moral auf, und du wirst belohnt werden.

Die Moral hat über Jahrhunderte viele Wandlungen durchgemacht. Sie ist keine Konstante, sondern der Versuch, der jeweiligen Macht eine Handlungsorientierung entgegenzustellen und dies als Konsens auszugeben.

Was die Bösen aus der AfD antreibt, ist das Bemühen, alle oft empörten Anhänger in den Bann des Bösen zu ziehen und ihnen die Aussicht auf Genuss zu eröffnen. Die Nazis haben in den ersten 6 Jahren ihrer Herrschaft das Böse in der Bevölkerung entfacht und gefördert und aktiv in den Lagern betrieben. Sie haben die deutsche Gesellschaft militarisiert und brutalisiert. Sie haben Feindbilder entwickelt und propagiert und wer diesen folgte, belohnt. Ein wichtiges Instrument war dabei die Hierarchisierung von Organisationen nach dem Führerprinzip. Die Feindbilder der AfD sind Migranten und Flüchtlinge, „Diverse“, Homo- und Transsexuelle sowie aktuell die so genannten Eliten der Politik. Während sich zögerlich allmählich globale Lösungen für globale Probleme abzeichnen, sind AfD und ihre Anhängsel auf dem Verkleinerungstrip: nur nationale Verengung ist ihr willkommen: Grenzen dichtmachen, Schusswaffengebrauch, Hilfeleistung verweigern sind die fratzenhaften Züge der AfD, die durch lächerliche Überlegenheitsgefühle der ersten Strophe des Liedes der Deutschen anhängt. Dadurch stellt sich die AfD im vollen Bewusstsein über die moralischen Grundsätze der Mehrheitsbevölkerung. Die AfD hat zwei Gesichter, ein offizielles und angepasstes, gleichsam Eichmann in Jerusalem, und zudem ein inoffizielles, das in Burschenschaften, am Stammtisch oder bei Begegnungen mit Fremden promilleselig aufleuchtet, wie weiland die SA. Vorbereitungen auf gewalttätige Auseinandersetzungen und Bewaffnung schreiten voran. Immer wieder verblüffend: Das Böse benötigt immer Waffen, weil es um die Schwäche der Argumente weiß. Das Böse weiß ferner auf schleichenden Sohlen die legitimen Strukturen zu benutzen, die sie, wenn sie die Macht innehat, sofort abschaffen möchte.

Man darf feststellen, dass der Wissenschaftsbegriff, den die Aufklärung schuf, in seinen praktischen Aspekten und Applikationen dem Bösen zugearbeitet hat, weil bedeutsame Fortschritte vor allem in der militärischen Nutzung lagen. Das Böse hatte folglich keine Chance zu verschwinden, weil die Militärs immer schon leuchtende Augen bekamen, wenn sie neue Kanonen auf Menschen abfeuerten.

Gauland und Höcke sind nicht böse geboren. „Warum sind dann aber viele von dieser Seuche der Bosheit befallen? Weil diejenigen, die an ihrer Spitze stehen, wenn sie von dieser Krankheit befallen werden, sie auf die übrigen Menschen übertragen.“ (Voltaire, 1764) Diese menschlichen Exemplare haben ihre Bösartigkeit aus Erlebnissen destilliert und hoffen nun, dass mehrfache Destillierung ihrer Kurzschlüsse die Prozente bei Wahlen erhöht. Wir werden ihnen was husten. Verderben wir ihnen den Genuss am Bösen. Zum Bösen gehört ein Menschenbild, das eine große Minderheit mit Verachtung und immer wieder mit Gewalt überzieht.

 

Das Böse tarnt sich seit der Feudalzeit mit Bürgerlichkeit. Zuvor waren es die Feudalherren und der Klerus, die Böses unter dem Vorwand, Böses auszutreiben, veranlassten oder selbst produzierten.

Das macht eine Identifizierung schwierig, wenn man selbst zur bürgerlichen Schicht gehört und die Symbole, Zeichen und Stile verinnerlicht hat und zum Maßstab der Kommunikation macht.

Die Bösartigen sind gegen Inklusion, weil es genau das Gegenteil  von ihrem Mantra ist, das Exklusion mit bösartigen Mitteln (Feuer und Baseballschläger) lautet. Der ideenhafte Ausschluss aus der Gemeinschaft ist dabei stets die Vorbereitung zur Vertreibung oder Vernichtung. Mit der AfD zieht erneut der sozialdarwinistische Hammer in unser Gesellschaftsleben ein. Es ist das schrecklich schmutzige Gefühl der Reinheit oder das Streben nach Reinheit, das die Bösartigen zusammenhält. Wer für sich Reinheit reklamiert, macht andere Menschen im Handumdrehen zu Unreinen. Ich spielte immer gern mit den Schmuddelkindern.

Kluge Korrespondenten erinnern u.a. an Himmlers Rede vor SS-Offizieren, die trotz ihrer Massenmordaktionen „sauber“ geblieben seien, weil sie sich eine eigene Moral, eine Vernichtungsmoral, gezimmert haben. Sie mussten sich dazu – im Vergleich zu ihrer Sozialisation im Kaiserreich – bereitwillig spalten und ihre Realitätsbetrachtung gleichfalls aufspalten lassen. Das Schizoide als Leitmotiv einer Organisation mit Krokodilstränen. Das Böse strebt stets nach Homogenität, d.h. ist bemüht, möglichst viele Menschen in den Bann des Bösen einzubeziehen. Das scheint die individuelle Verantwortung für das eigene Handeln zu verringern. Wenn viele böse sind, ist man in guter Gesellschaft.

 Es gibt offensichtlich eine Alltagsbösartigkeit, die sich von den früheren öffentlichen Hinrichtungen und der amtlich und christlich abgesegneten Folterung während der Inquisition über die unterlassenen Proteste bei Judendeportationen bis zu heutigen Gaffern erstreckt. Es handelt sich wohl um das Faszinosum Jenningers (damals apologetisch gemeint) angesichts des Bösen. Allen gemeinsam ist, dass sie die moralischen Leitlinien des Anstandes der Mehrheit (?) suspendiert haben. Einen Kollegen oder eine Kollegin zu feuern, kann zuweilen Züge von Bösartigkeit annehmen, denn aktive Bösartigkeit verbandelt sich meist mit Machtpositionen.

Das legt nahe, nach den bösen Impulsen, die alle Menschen mobilisieren können, zu fragen. Warum sind nicht alle Menschen eines Kollektivs in der Lage, böse Impulse in Handeln mit Genuss zu verwandeln. Diese Beobachtung trieb schon Voltaire um. Es braucht dazu ein Feindbild, das bedrohlich erscheint, weil es durch latente Diskurse bedrohlich gemacht wird, und deshalb zum Kampf aufruft. Im propagierten Überlebenskampf sind Regeln außer Kraft gesetzt. Das Böse kann unverblümt zum Durchbruch kommen. Das Böse dient der Selbsterhaltung, so die machtpolitische oder religiöse Argumentation. Warum aber handeln nicht alle angesprochenen Menschen in gleicher böser Weise? Weil sie einen moralischen Kompass aus einer anderen Ideologie haben oder das Böse in sich so lange reflektiert haben, bis sie zur Überzeugung gelangt sind, dass mit Bösem keine gemeinsame Welt zu erschaffen ist. Mit Höcke und Gauland ist schon der Versuch einer gemeinsamen Welt eine Illusion.

Die meisten Bösartigen können sich in Machtstrukturen und Hierarchien hineinversetzen, nicht aber in Schwache und Bedürftige. Ihre Empathie, wenn man überhaupt davon sprechen kann, richtet sich auf den Familienkern, womit sie auch ihr Familienbild kundtun, das auf klassischer Hierarchie aufbaut. Nun ist Empathie eher eine kognitive Leistung, während das Mitgefühl oft spontan auftaucht und schnell wieder abtaucht. Als Gefühl tritt es in Konkurrenz zu anderen Gefühlen, die vom Zeitgeist und den Massen angetragen werden.

Die Bösartigen machen jeglichen Gleichheitsgrundsatz kaputt. Man muss nicht lange rätseln, wer Interesse an kaputter Gleichheit hat. Man trifft sie überall und sollte keine Mühe haben, sie als Bekannte aus dem Adressbuch zu streichen. Sie nehmen für sich eine Überlegenheit über andere in Anspruch, weil sie sich durch bestimmte Eigenschaften oder Merkmale auserwählt wähnen. Ob als Volk oder durch geschäftlichen Erfolg, der religiöse Glaube hat dabei einen großen Anteil. Selbstgerechtigkeit bildet die Rampe, von der das Böse seinen Lauf nimmt.

Das Böse ist auch dadurch gekennzeichnet, dass es jeden kontaminieren kann. Niemand ist lebenslang vor dem Bösen sicher. An der Ermordung von Indigenen durch weiße Siedler, am mörderischen Furor lässt sich die Befriedigung nach bösem Handeln ablesen. Das Lebendige wird in Hierarchien aufgefächert.

In eine uferlose Grauzone gerät, wer Gutes und Böses zu definieren versucht (s. das voran gestellte Motto!) Es gibt nämliche keine Eindeutigkeit. Wer die Welt mit binären Begriffen bewertet (Licht/Nacht, Gut/Böse), landet beim Manichäismus. Das vermeintlich Gute kann sich in Böses verwandeln. Im Glauben, das Richtige und Gute zu tun und historisch getan zu haben, waren unsere Eltern und Großeltern nicht in der Lage, ihr Handeln als Böses zu bewerten. Daraus rührte ihre Unfähigkeit zu trauern, was mit Krieg und Massenmord angerichtet wurde. Ihre Absichten waren im Einklang mit ihren Formungen, die durch die Macht vorschrieben, was Gut und was Böses ist, nachdem der individuelle moralische Kompass in Hass und Gegröle verloren ging, weil Größenphantasien Belohnung und Genuss versprachen. Es habe sich nicht um vorsätzlich Böses gehandelt, sagte der Bischof von Würzburg, als er zahlreiche „Hexen“ verbrennen ließ. Der Großinquisitor war sich des Segens des Papstes sicher, wenn er die Streckbank und glühende Eisen einsetzte. Intendiertes Böses ist scheinbar leicht zu identifizieren, wenn von Menschen gemachte Gesetze berücksichtigt werden müssen. Man wird also die Zwecke des Guten befragen müssen. Wenn das Leben oder das Lebendige nicht höchster Wert sind, kann das Handeln nicht gut sein. Das Leben kann freilich in Tragik stürzen, die zwei gleich gute oder schädliche Handlungsoptionen erzwingt und dadurch den Charakter und die Qualität einer Entscheidung erschweren. Oh, Antigone! Ein hoher Polizeibeamter kann einem Verdächtigen widergesetzlich die Folter androhen, wenn er ein vermeintlich höheres Rechtsgut schützen möchte. Er muss sich aber für diesen Rechts- und Tabubruch vor Gericht verantworten. Tabubrüche können im Allgemeinen nicht auf mildernde Umstände rechnen, Rechtsbrüche schon eher.

Dieser kleine Betrag kam ohne einen Verweis auf Donald Trump aus.